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Matthias Altmann hat die Antwort auf die Frage »Was war vor dem Urknall?« unmittelbar vor Augen. Er muss die Berechnungen und Formeln nur noch aufschreiben. Diese Arbeit nimmt ihn völlig in Beschlag. Anja, seine langjährige Freundin, hat ganz andere Pläne. Sie will endlich ein Kind mit Matthias. Doch der ist noch nicht bereit, Vater zu werden. Und so muss er sich neben der Suche nach der Weltformel auch mit einer anderen Frage beschäftigen:  Was war vor seiner Bindungsangst? Die Antwort führt ihn zurück in seine Kindheit.

LESEPROBE

An diesem Morgen wachte Matthias Altmann schweißgebadet auf. Er hatte bis tief in die Nacht gearbeitet und war zu einer Erkenntnis gekommen. Es schneite, und das Motorengeräusch des Frühverkehrs drang unangenehm in sein Schlafzimmer. Das Zimmer war kalt, die Fenster leicht geöffnet. Sein Herz klopfte schnell, als er ruckartig das Bett verließ. Er hatte Kopfweh und ihm war schwindlig. Mit einem kurzen Stöhnen stellte er sich an eines der Fenster und blickte auf die Straße hinab. Vereinzelt liefen Menschen vorüber, die Kragen hochgeschlagen, die Schirme geöffnet. Er ging in die Knie und stützte seine Arme auf dem Fensterbrett ab. So verharrte er minutenlang. Nur eine Glasscheibe trennte ihn von der unbarmherzigen, kalten Welt da draußen. Auf dem kleinen Nachttisch begann der Wecker zu klingeln. Immer lauter, fast unerträglich. 

Matthias schloss die Augen. Dann fasste er einen Entschluss. Endlich. Bald würde er es geschafft haben. Niemand sollte ihn daran hindern. Seine Entscheidung stand fest. Er musste nur noch den Beweis erbringen. Der Wecker klingelte noch zehn, fünfzehn, zwanzig Mal. Dann war es still. Matthias stand auf, schloss die Fenster und ging ins Bad. Lange blickte er in den Spiegel. Unvermittelt dachte er an Anja. 

*

Minuten später nahm er sein Handy und wählte eine Nummer. Mit einem fröhlichen »Guten Morgen« meldete sich Frau Bach, die jeden Tag pünktlich um sechs Uhr im Büro war. 
»Ich kann heute nicht kommen«, sagte er schnell. 
»Wie bitte?«
»Es geht einfach nicht!« 
»Influenza?«, fragte Frau Bach. 
»Nein!«
»Vielleicht Migräne?« 
»Genug jetzt. Es handelt sich um eine Privatangelegenheit«, antwortete er genervt. 
»Aber Herr Doktor Altmann, es ist doch alles vorbereitet, Sie sind noch nie ...« 
»Sagen Sie bitte alle Termine ab. Wir sehen uns morgen!« 
Matthias hörte sie nach Luft schnappen, aber er war schneller und legte auf. Für einen kurzen Moment blieb er stehen und griff sich an die Stirn. Ein leichtes Schwindelgefühl, mehr wohl nicht. 
Er setzte sich auf die Couch und legte die Arme hinter den Kopf. Langsam schloss er die Augen. Er fühlte, wie etwas klar wurde. Allmählich nahmen seine Gedanken eine Gestalt, eine Struktur, eine Form an, die es zu verbinden galt. Er wusste, dass er seine Augen jetzt nicht aufmachen durfte. Matthias wurde heiß. Alles drehte sich. Seine Gedanken kreisten um wissenschaftliche Experimente, seine jahrelangen Aufzeichnungen, sein Leben, seine Ziele, vermischten sich mit Kindheitserinnerungen, bauten sich auf, verschwanden wieder.

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Informationen zum Buch

Stefan Franke, DIE WELT ZWISCHEN NULL UND EINS. Erzählung

ISBN: 978-3-903190-01-6
1. Auflage Juni 2017, Hardcover, Fadenheftung, Lesebändchen,
96 Seiten, € 18,70